Wie könnte eine wünschenswerte Welt nach der Covid-19-Pandemie aussehen? Welche Geschäftsmodelle werden relevant sein, welche Werte? Bei zwei Workshops des Creative Labs COVID-19 wurden mit Methoden der Zukunftsforschung Visionen für eine Welt nach der Krise entwickelt.
Die gesamte Welt scheint stillzustehen, während sich das Corona-Virus auf ihr ausbreitet. Die Pandemie hat uns Menschen global vor große Herausforderungen gestellt. Sie verändert unseren Alltag, den Umgang miteinander, die Arbeitswelt, unsere Wirtschaft und auch das gesamte kulturelle Leben. Nicht nur in der Gegenwart, sondern auf unbestimmte Zeit. Die Gesellschaft in Deutschland transformiert sich. Kreative Lösungen sind gefragt, um den negativen Auswirkungen der Corona-Krise entgegenzuwirken.
Transformation durch geteiltes Wissen
Diese Lösungen können nicht durch einzelne Disziplinen allein gestemmt werden. Stattdessen bedarf es grenzüberschreitender Kooperation. Covid-19 hat gezeigt, wie stark unsere Welt miteinander vernetzt ist und dass es keine einfachen Antworten auf solch komplexe Herausforderungen gibt. Ein Problem, das die Wirtschaft, die Gesellschaft und unser privates Leben dermaßen berührt, kann nicht mit dem Blick durch eine Brille gelöst werden. Bei einem zweiteiligem Worldbuilding-Workshop des Creative Labs kamen deshalb Expert*innen unterschiedlichster Bereiche zusammen, um in interdisziplinären Teams transdisziplinäre Ideen, Lösungsansätze und Geschäftsmodelle zur Gestaltung einer besseren Zukunft zu entwickeln. Mit kultur- und kreativwirtschaftlichen Methoden, wie dem spekulativen Design, wurde sich abstrakten Themen, wie dem Denken in Zukünften, genähert. Das Ziel – war es, konkrete Handlungsfelder für die Wirtschaft und Gesellschaft von morgen zu identifizieren, um gestärkt aus der Krise zu kommen.
„Wie können Wirtschaft und Gesellschaft gestärkt aus der Krise hervorgehen und was braucht es dafür?“
Szenarienentwicklung im Creative Lab COVID-19
Der zweitteilige Workshop zur Post-Corona-Zeit brachte unterschiedliche Akteur*innen verschiedenster Bereiche zusammen: Von Vertreter*innen der Allianz Kulturstiftung über das Hasso-Plattner-Institut oder das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz beschäftigten sich 17 Teilnehmer*innen des vom Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes ausgerichteten Creative Labs mit der Entwicklung von Szenarien, die die gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformationen durch die Covid-19-Pandemie erfahrbar machen: „Wie können Wirtschaft und Gesellschaft gestärkt aus der Krise hervorgehen und was braucht es dafür?“ Die Ergebnisse der Workshops dienen anschließend dazu, Wege zur Erfüllung der angestrebten Zukünfte abzuleiten, um so konkrete Fragestellungen, Projektaufträge und Experimente zu formen.
In einem ersten Schritt ging es darum, Visionen zu entwickeln – führt die Krise möglicherweise dazu, dass es eine rein durch Chatbots funktionierende Verwaltung geben wird, die den Namen „Digitrans“ trägt? Wenzel Mehnert, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität der Künste in Berlin und Leiter des Workshops, verwendete dazu die Brainstorming-Methode Futures Wheel. Zunächst wurden die Teilnehmenden in vier Gruppen aufgeteilt, um vielseitige, gesellschaftliche Implikationen abzudecken. Sie widmeten sich den Themen Bildung, Wirtschaft, Arbeit und Kultur. Wie werden sich die Bereiche durch die Covid-19-Krise transformieren? Diese Frage stand im Fokus des „Zukunftsrads“. Im Bereich der Wirtschaft wurden beispielsweise Implikationen entwickelt, die sagen, dass Geld in Zukunft gezielter für die digitale Transformation eingesetzt wird. Ebenso werden Büros nur noch mit der halben Anzahl an Mitarbeiter*innen besetzt werden, während der Rest im Homeoffice ist. Auch Lieferketten sollen wieder regionaler und transparenter werden. Gleichzeitig werden Innovationszyklen schneller und Innovationen somit auch effizienter gefördert.
Das Ziel der Methode Futures Wheel besteht darin, unmittelbare und mittelbare Auswirkungen einer möglichen zukünftigen Entwicklung explorativ zu erkunden, strukturiert zu visualisieren und so einer Diskussion zugänglich zu machen. Die Methode ist einfach: Man geht von einer Annahme über die Zukunft aus und überlegt sich, wie die Zukunft aussehen würde, wenn das, was man annimmt, tatsächlich der Fall wäre – wie würde sich das auswirken, was wäre anders?
Explorativ und digital die Zukunft erforschen
Ein solch explorativer Zugang zielt darauf ab, eine Vielzahl möglicher Zukünfte zu identifizieren. Dabei gilt es kreativ zu sein, jedoch von plausiblen Entwicklungen auszugehen und Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu berücksichtigen. Bei der Szenariotechnik handelt es sich um eine qualitative Methode aus der Zukunftsforschung.
Die Teilnehmer*innen arbeiteten in ihren Gruppen gemeinsam in einem Board – digital vernetzt auf einer Plattform für visuelle Zusammenarbeit. Gleichzeitig befanden sie sich in einer virtuellen Konferenz und konnten sich somit bei der Szenarienentwicklung sehen. Der Workshop bewies, wie gut neue Formen (zukünftiger) Arbeit funktionieren und dass kreative Prozesse auch über Grenzen hinweg antizipiert werden können. Während ein Teilnehmer im Bereich Wirtschaft die Implikation festlegte, dass Lieferketten regionaler und transparenter werden, überlegten die anderen vier bereits, wie es damit weitergehen könnte: Einerseits wird die Produktionstiefe erhöht, andererseits kommen Technologien wie Blockchain stärker zum Einsatz, um die Wertschöpfungsketten zu realisieren und zu prüfen. Jede*r konnte im Board zusehen, welche Implikationen definiert werden, während gleichzeitig darüber gesprochen wurde. Durch die vorgegebene Zeit zur Bearbeitung kamen die Teilnehmenden effizient und konzentriert zu ihren Ergebnissen.
Konrad Gold, der Goldschmied, ist 53 Jahre alt, CEO einer Juwelierskette und hat das Bedürfnis, sich Kompetenzen im Bereich von transparenten Lieferketten anzueignen. Er will mit Hilfe von Technologie Vertrauensbeziehungen zu neuen Zuliefer*innen aufbauen. Gleichzeitig steht er vor dem Problem, dass in Goldländern wie Ghana die technische Infrastruktur zur Nachverfolgung durch Blockchain noch nicht gegeben ist.
Von der Geschichte zum Prototypen
In einem zweiten Schritt wurden die entwickelten Szenarien weiter geschärft und ausgestaltet. Aus den jeweiligen Szenarien wurden Narrative Probes. In einer Hausaufgabe skizzierten die Teilnehmenden vor dem zweiten Workshop-Termin eine Geschichte zu einer fiktiven Person aus der Post-Corona-Zukunft. Dabei wurde beschrieben, wie die Person neue Probleme löst, welche Technologien, Services sie nutzt, um ihren Bedarfen nachzugehen.
Eine Geschichte handelt von einem Goldschmied, der unter großem Druck steht, weil seine Kund*innen immer mehr Wert auf eine eine nachhaltige, faire und transparente Lieferkette legen. Die Corona-Krise hat bewirkt, dass Verschiebungen auf dem Markt in Bezug auf die Herkunft der Produkte und Rohstoffe stattfinden. Durch den Einsatz von Blockchain-Technologien, die es ermöglichen, für Transparenz zu sorgen und Lieferketten genau zu tracken, gewinnen Händler wie der Goldschmied wieder das Vertrauen der Kund*innen. Aus diesen Narrative Probes wurden konkrete Stakeholder entwickelt: Konrad Gold, der Goldschmied, ist 53 Jahre alt, CEO einer Juwelierskette und hat das Bedürfnis, sich Kompetenzen im Bereich von transparenten Lieferketten anzueignen. Er will mit Hilfe von Technologie Vertrauensbeziehungen zu neuen Zuliefer*innen aufbauen. Gleichzeitig steht er vor dem Problem, dass in Goldländern wie Ghana die technische Infrastruktur zur Nachverfolgung durch Blockchain noch nicht gegeben nicht gegeben ist.
Basierend auf den definierten Stakeholdern wurden Innovation Challenges entwickelt: Erlebbare Transparenz durch Blockhain. Goldschmiede möchten über eine transparente Lieferkette die Qualität und Nachhaltigkeit ihrer Arbeit verdeutlichen. Auch andere Hersteller*innen, die behaftete Rohstoffe wie Rohöl oder seltene Erden verwenden, haben diese Probleme Ethik wird somit zu einem Teil des Geschäftsmodells. Eine Herausforderung ist es nun, eine branchenweite Blockchain zu entwickeln. Könnten auch andere Lieferketten davon profitieren? Wie könnte eine Zusammenarbeit von Unternehmen, NGOs und Ländern aussehen?
Die entwickelten Innovation Challenges werden in einem dritten Schritt dabei helfen, Prototypen echter Lösungen zu erarbeiten – denn das Creative Lab ist noch nicht vorbei. Im Juli plant das Kompetenzzentrum ein Innovation Camp. Die erarbeiteten Ergebnisse der beiden Workshops dienen dabei als Grundlage für Kreative, Designer*innen und Entwickler*innen, um neue Geschäftsmodelle und Unternehmen zu entwickeln. Wie schaffen wir ein neues gemeinsames Bildungsverständnis? Wie kann Netzwerken auch im Digitalen verstetigt und verstärkt werden? Das Entwickeln der Innovation Challenges war somit nur ein erster Schritt zur Gestaltung einer besseren Zukunft. Beim Innovation Camp sollen diese Fragen angegangen und gelöst werden.
Vom Szenario zum Geschäftsmodell
Ein solches Vorgehen hilft, zukünftige Herausforderungen zu meistern, indem bereits in der Gegenwart Innovationen für die Zukunft antizipiert werden. In einer immer stärker vernetzten Welt ist es umso wichtiger, einen Perspektivwechsel einzunehmen und sich Problemen trans- und interdisziplinär zu nähern – insbesondere, wenn wir es mit elementarer Ungewissheit zu tun haben. Das ergebnisoffene Arbeiten fördert nicht-lineares Denken und unterstützt das Verlassen monokausaler Denkmuster. Es ermöglicht neue Formen der Wertschöpfung, wo es nicht nur darum geht, wirtschaftlich relevante Themen anzusprechen, sondern auch gesellschaftliche.
Diese Kreativtechnik wird uns unter der Bedingung der Unsicherheit darüber, was in Zukunft der Fall sein wird, die Planung der Gegenwart erleichtern. Die Gestaltung unserer möglichen Zukünfte haben wir somit aktiv in der Hand und sollten unser Erkenntnisinteresse entsprechend darauf fokussieren. Schließlich sagte auch Mark Twain einst: „Natürlich interessiert mich die Zukunft. Ich will doch schließlich den Rest meines Lebens in ihr verbringen.“
Das Creative Lab COVID-19 ist das erste von fünf Creative Labs, mit denen das Kompetenzzentrum in den nächsten drei Jahren kreative Innovationen an Schnittstellen zu anderen Branchen, Sektoren und Technologien vorantreibt. Die Creative Labs werden temporär für einen Zeitraum von ca. sechs Monaten eingerichtet und widmen sich aktuellen wirtschaftspolitischen Themen wie zum Beispiel Strukturwandel, neuem Unternehmertum, Mobilität oder Neo-Ökologie.
Text: Deana Mrkaja
Fotos: Titelbild: Ameer Basheer (Unsplash), Futures Wheel: Wenzel Mehnert (Universität der Künste Berlin)
Quelle: https://kreativ-bund.de/werteorientierte-oekonomie/post-corona-welt