Die Corona-Pandemie hat die gesamte Gesellschaft vor Herausforderungen gestellt. Insbesondere auch im Bereich der Bildung. Dabei könnte sie gerade hier für einen Digitalisierungsschub sorgen – sofern wir Neues zulassen. Mutige Kooperationen zwischen dem Bildungssektor und der Kultur- und Kreativwirtschaft setzen Impulse und können helfen diese Chance zu ergreifen.

Themenwelt Bildung

Dr. Ekkehard Winter, Deutsche Telekom Stiftung

Plötzlich ging es ganz schnell: Als klar wurde, dass es durch den Ausbruch des Covid-19-Virus in Deutschland einen Lockdown geben würde, schritt die Digitalisierung voran – gezwungenermaßen. Auch Bildungseinrichtungen schlossen und wurden damit auf den Prüfstand gestellt. Wie soll weiter gelehrt und gelernt werden, wenn dies nicht mehr an einem Ort stattfinden kann? Corona-bedingt gab es nun digitale Semester, Homeschooling und Unmengen an Worddokumenten mit schriftlich verfassten Arbeitsaufträgen für Schüler*innen oder gar keinen Unterricht mehr. Deutlich wurde, auf den Digitalisierungsschub war kaum jemand vorbereitet.

Bisher sah die Lern- und Lehrlandschaft in Deutschland klassisch aus: Für das Lehren wie das Lernen stand der unmittelbare und direkte Austausch im Fokus, die Gemeinschaft der Schüler*innen und der Schule. Wissensvermittelnde Formate standen im Vordergrund, gelehrt wurde an einem Ort und eher analog, das Erlernen von zukunftsrelevanten Fähigkeiten war zweitrangig. „Wir müssen Abschied nehmen von der alten Vorstellung des Lehrens und Lernens, dem Befüllen von leeren Gefäßen mit Wissen. Das Wissen ist durch die Digitalisierung überall verfügbar, einen Klick weit entfernt“, sagt Dr. Ekkehard Winter, Geschäftsführer der Deutschen Telekom Stiftung. Bereits 2016 formulierte das Bundesministerium für Bildung und Forschung das Ziel, dass Bildung im digitalen Zeitalter Menschen dabei helfen solle, sich als selbstbestimmte Persönlichkeiten in einer sich beständig verändernden Gesellschaft zurechtzufinden und verantwortungsvoll ihre eigenen Lebensentwürfe zu verfolgen.

Lehren und Lernen im digitalen Wandel

Prof. Dr. Christoph Meinel, Hasso-Plattner-Institut

Doch die Realität zeigt: Deutschland ist im Bereich der Bildung digital nicht gut aufgestellt. „Innovative Unterrichtskonzepte werden in Deutschland kontrovers und lang diskutiert und am Ende lässt sich das meiste davon gar nicht umsetzen, weil einfach technische Voraussetzungen und digitale Kompetenzen fehlen“, sagt Prof. Dr. Christoph Meinel, Direktor und Geschäftsführer des Hasso-Plattner-Instituts für Digital Engineering. Er hat die erste europäische MOOC-Plattform (Massive Open Online Course) „OpenHPI“ entwickelt.

Im diesjährigen nationalen Bildungsbericht steht, dass ein “beträchtlicher Teil” der Bevölkerung – Kinder und Jugendliche ebenso wie Erwachsene – “bislang allenfalls über rudimentäre digitale Kompetenzen” verfüge. Dabei bietet der digitale Wandel Vorteile: Das Besondere an der Digitalisierung ist, dass sie weniger eine technologische Wende markiert, sondern die Möglichkeit bietet, die Informations- und Kommunikationstechnologien optimal zu nutzen, um einen Kulturwandel herbeizuführen. Gerade in der Bildung seien das laut Meinel nicht die großen neuen Konzepte, sondern Elemente, die man jetzt einbauen und nutzbar machen kann, die vorher Neuerungen und Fortschritt verhindert haben. „Wir befinden uns beim digitalen Unterricht noch in einer Experimentierphase. Wenn man dabei den Anspruch hat, dass am Ende ein ganz neuer Unterricht herauskommt, behindert man einen notwendigen evolutionären Prozess.“

Communication, Critical Thinking, Creativity und Collaboration. Future Skills sind der Schlüsselfaktor für eine politische und wirtschaftliche Teilhabe in einer digitalen.

Zukunftskompetenzen „Vier Cs“

Weg vom Formalen, hin zu Future Skills

Digitale Technologien verändern die Art und Weise, wie Bildung vermittelt, organisiert und gestaltet wird. So ermöglichen sie ein orts- und zeitunabhängiges sowie individualisiertes Lernen über digitale Lehr- und Lerninfrastrukturen wie MOOCs oder E-Learning.“OpenHPI” zeigt, wie das gehen kann: „Gerade haben wir einen sechswöchigen Kurs zum Thema Sicherheit im Internet gemacht. Vor Corona waren bei uns schon eine halbe Million Menschen eingeschrieben, während der Hochphase der Pandemie kamen täglich 500 Neuanmeldungen dazu.” Um digital versiert zu sein, bedarf es jedoch Zukunftskompetenzen.

Diese werden als “Vier Cs” benannt: Communication, Critical Thinking, Creativity und Collaboration. Future Skills sind der Schlüsselfaktor für eine politische und wirtschaftliche Teilhabe in einer digitalen Welt. Bei der Vermittlung digitaler Kompetenzen gewinnen neben den formalen Institutionen auch non-formale Bildungskontexte sowie selbstgesteuertes und informelles Lernen an Bedeutung. Dabei steht das Primat der Pädagogik im Vordergrund – sie muss den Einsatz digitaler Technik bestimmen, nicht umgekehrt.

Deutschland braucht Mut, um Dinge auszuprobieren

Wie vermittelt man eine Kultur der Digitalität und Offenheit? Sowohl Meinel als auch Winter sind sich einig: Das, was Deutschland fehlt, ist der Mut, Dinge auszuprobieren. „Der Status Quo ist juristisch so eingemauert, dass das, was ist, unverrückbar das einzig Gültige ist. Innovative Veränderungen, die am Anfang natürlich noch schwach und nicht ausgereift sind, haben eigentlich keine Chance“, sagt der Informatiker dazu. „Andere Gesellschaften sind risikofreudiger und eher bereit, Neues auszuprobieren, bevor sie feste Regeln aufstellen. Bei uns dagegen ist alles reguliert und der Freiraum zum Ausprobieren fehlt. So wird der Fortschritt abgewürgt.“

Auch der promovierte Genetiker Winter ist seiner Meinung: „Wir müssen in Deutschland immer vorher schon alles zu Ende gedacht, alle Regelungen zu Papier gebracht, alle Bedenken im Vorfeld ausgeräumt haben. Gerade bei der Bildung, wo es ums Ausprobieren geht, um Irrwege, die man beschreiten kann, ist es wichtig, das zu ändern”, fügt er hinzu.

Um die Digitalisierung in der Bildung zu vollziehen, müssen digitale und analoge Elemente gemischt werden, wie das beim Blended Learning der Fall ist. Der Begriff bezeichnet eine Lernform, bei der die Vorteile von Präsenzveranstaltungen und E-Learning kombiniert werden

Blended Learning

Stärken der Kultur- und Kreativwirtschaft nutzen

Deshalb sei es umso wichtiger, die Kreativwirtschaft stärker in den Blick zu nehmen, weil sie anders unterwegs ist als klassische Industrien, betont der Chef der Telekom Stiftung. Die Kreativbranche ist Treiberin gesellschaftlicher Transformationen. Sie kann dabei helfen, Schritt zu halten mit dem rasanten Tempo technologischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Entwicklungen im Zeitalter der Digitalisierung. Kreativität lässt sich nicht automatisieren und wird daher auch zukünftig eine immer wichtigere Rolle spielen. Ein Beispiel, wie so etwas aussehen kann, zeigt die App „Learn Twin“, die den Publikumspreis beim diesjährigen Innovation Camp Sprungkraft gewonnen hat. „Learn Twin“ ermöglicht es, erlangtes Wissen zu reflektieren, gebündelt zu speichern, zu organisieren und so in den Alltag zu transferieren. Dazu wird Wissen auf vielfältige Weise gespeichert: Infos aus Workshops, digitale Quellen, persönliche Notizen und Gespräche mit Fachleuten können an einem Ort gespeichert, verbunden und thematisch geordnet werden. So schafft die Kultur- und Kreativbranche gemeinsam mit Tekkies virtuelle Orte zum Lernen, Lehren und Arbeiten.

Um die Digitalisierung in der Bildung zu vollziehen, müssen digitale und analoge Elemente gemischt werden, wie das beim Blended Learning der Fall ist. Der Begriff bezeichnet eine Lernform, bei der die Vorteile von Präsenzveranstaltungen und E-Learning kombiniert werden. Ähnlich sieht es beim Flipped Classroom aus: Statt Wissen ausschließlich im Unterricht zu vermitteln, wird der Lernstoff mit Hilfe von Lernvideos und digital zur Verfügung gestellten Arbeitsblättern in Phasen selbständigen Lernens aufgenommen und im Präsenzunterricht der Stoff geübt, wiederholt und vertieft. Die Wissensvermittlung dient auf diese Weise der Ausbildung kritischer Lernfähigkeit.

„Das lebenslange Lernen wird deshalb immer wichtiger, weil Wissen viel schneller entsteht und veraltet und weil sich die Lebensarbeitszeit weiter verlängert.“

Prof. Dr. Meinel

Lebenslanges Lernen

Auch das lebenslange Lernen muss stärker in den Fokus rücken. Prof. Dr. Meinel sieht gerade hierbei Universitäten in der Pflicht: Gute Unis können sich im digitalen Zeitalter mit der sich rasant beschleunigenden Wissensvermehrung nicht nur auf die Bildung von jungen Leuten beschränken, sondern müssen sich auch für berufsbegleitendes lebenslanges Lernen verantwortlich fühlen. „Das lebenslange Lernen wird deshalb immer wichtiger, weil Wissen viel schneller entsteht und veraltet und weil sich die Lebensarbeitszeit weiter verlängert“, sagt der Professor für Internet-Technologien. Für dieses Lernen müssen noch Formen gefunden werden, deren Antizipation in den kreativen Branchen liegen könnte.

Für Winter geht es darum, Akteur*innen zusammenzubringen, die bisher nicht viel miteinander zu tun hatten – das bedeutet Kreative mit der Industrie, Schüler*innen mit Gründer*innen. Trotzdem ist sich Winter nicht sicher, ob die Kultur- und Kreativwirtschaft ihr eigenes Potenzial im Bereich der Bildung sieht: „Ich würde mir wünschen, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft ihre Möglichkeiten im Bildungswesen noch viel mehr erkennen würden, da passiert noch zu wenig. Doch ich sehe da viele Chancen.”

“Ich bin nach wie vor Anhänger des humboldtschen Bildungsideals, nämlich Menschen darauf vorzubereiten, in einer sich verändernden Welt selbstbestimmt, eigenverantwortlich ihr Leben gestalten zu können. Nicht an der Hand eines Staates durchs Leben geführt zu werden, nicht gedanken- und verantwortungslos in der Herde mitzulaufen, sondern durch umfassende Bildung gut vorbereitet das eigene Leben im Privaten und im Gesellschaftlichen zu meistern. Dank Digitalisierung verfügen wir heute im Vergleich zur Zeit Humboldts über ganz neue Mittel und Wege, dieses Ziel zu erreichen”, fasst Prof. Meinel abschließend zusammen. Der digitale Wandel in der Bildung lässt sich gestalten. Gestalten heißt, kreativ sein zu dürfen. Diese Impulse zum offenen Denken können laut Winter aus der Kultur- und Kreativwirtschaft kommen. Damit ließe sich auch die Zukunft der Bildung vorantreiben.


Text: Deana Mrkaja
Fotos: Annie Sprat (Unsplash), Hasso-Plattner-Institut, Deutsche Telekom Stiftung
Quelle: https://kreativ-bund.de/werteorientierte-oekonomie/transformation-bildung